Akademien der Wissenschaft - Tempel des Geistes?

Die sechs deutschen Akademien der Wissenschaft sind der Forschung verpflichtete Gelehrtengesellschaften. Auch wenn die Bezeichnung 'Akademie' an die platonische Akademie anknüpft, sind sie keine spezifisch philosophischen Einrichtungen. Die Akademien werden dennoch hier aufgeführt, da sie zumindest unter anderem Träger philosophischer Forschung sind und da sie ihrem interdisziplinären Charakter entsprechend eine gewisse Nähe zur Philosophie haben oder zumindest haben könnten.

Inhalt: 1. Akademien, 2. Historische Skizze, 3. Organisatorisches, 4. Aufgaben



Die Akademien

Historische Skizze

Die deutschen Akademien der Wissenschaften sind aus der neuzeitlichen europäischen Akademiebewegung des 17. und 18. Jahrhunderts hervorgegangen. Da die Universitäten vorwiegend Orte der Lehre waren, wurden die Gelehrtengesellschaften oder Akademien zu vorrangigen Trägern der Forschung. In Florenz wurde 1444, angelehnt an Platons Akademie, die 'Académie Plaonica' gegründet. In Frankreich begündete Richelieu die 'Académie Française' zur Pflege der Sprache und Kultur. Bedeutende frühe Gründungen von Gelehrtengesellschaften mit naturwissenschaftlicher Thematik waren die Royal Society in London (1660) und die 'Académie des Sciences' (1666, 1699).
Die erste deutsche Akademie war ebenfalls ausschließlich naturwissenschaftlich ausgerichtet. Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina wurde 1652 ins Leben gerufen und 1687 von Kaiser Leopold zur Reichsakademie erhoben. Der Sitz dieser Akademie wechselte zunächst mit seinen Präsidenten und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts Halle.
Insbesondere die 1700 von Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg auf Initiative von Gottfried Wilhelm von Leibniz eingerichtete Kurfürstlich Brandenburgische Sozietät der Wissenschaften in Berlin wurde für die weitere Entwicklung bestimmend. Sie wurde später zur Preußischen Akademie der Wissenschaften. Diese Akademie wurde nach dem Vorbild der Akademien in London und Paris konzipiert und wurde selbst Vorbild für viele weitere Gründungen insbesondere im deutschsprachigen Raum.
So wurde 1751 die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen nach Berliner Muster eingerichtet. Die Bayerische Akademie der Wissenschaft (1759) geht auf eine Initiative von Johann Lori zurück, der in Briefkontakt u. a. mit Christian Wolff stand. Später war der Philosoph Friedrich Wilhelm Schelling einer der Präsidenten der Bayerischen Akademie. Die Kurpfälzische Akademie in Mannheim wurde 1763 unter anderem auf Anregung von Voltaire gegründet. Die bayerische Erbfolge der Kurpfalz führte zum Niedergang der Mannheimer Akademie; die revolutionären und napolionischen Kriegen gaben ihr nur noch den Gnadenstoß. Die Heidelbergische Akademie der Wissenschaften knüpft seit 1909 allerdings wieder an die Tradition der Mannheimer Akademie an. Am 1. Juli 1846 wurde in Leibzig, anläßlich des 200. Geburtstages von Leibniz, die Königlich Sächsische Gesellschaft der Wissenschaft gegründet, die 1919 ihren heutigen Namen erhielt. Auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften wurde von Leibniz bereits Anfang des 18. Jahrhunderts angeregt, sie wurde aber erst mehr als 100 Jahre später, 1847, durch ein kaiserliches Patent eingerichtet.
1893 kam es zu einem Zusammenschluß der deutschsprachigen Akademien im sogenannten Kartell, das damals auch selbst einige Forschungsvorhaben betreute.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde, um eine Gleichschaltung auch der Akademien zu erreichen, das Kartell zum 'Reichsverband der deutschen Akademien' umfunktioniert.

Nach dem II. Weltkrieg wurde in der Sowjetischen Besatzungszone die bis 1945 bestehende Preußische Akademie der Wissenschaften zur Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1946-1972) umgewandelt. Diese wurde seit 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR genannt. Die Akademie wurde in der DDR zu einer Forschungsakademie, die einen Verbund verschiedener Forschungsinstitute einschloß. Sie arbeitete inhaltlich aufgrund von staatlichen Vorgaben; die Gelehrtengesellschaft selbst hatte vermutlich einen eher nachrangigen Einfluß. Die Leopoldina wurde nicht an die staatliche Akademie der Wissenschaften der DDR angegliedert und bewahrte eine gewisse Unabhängigkeit. Auch heute ist die im naturwissenschaftlichen Bereich einflußreiche Leopoldina weiterhin eigentlich nur ein Verein privaten Rechts und nicht Mitgleid der Akademien Union.
In Westdeutschland wurde 1949 die Akademie der Wissenschaften in Mainz vor allem von ehemaligen Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften in der französischen Besatzungszone gegründet. Auch diese Akademie beruft sich auf die Leibnizsche Akademie Tradition.
In der Nachfolge des Kartels wurde 1949 die Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Akademien gegründet, die 1967 zur 'Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften in der Bundesrepublik Deutschland' umbenannt wurde.
1970 wurde schließlich auch in dem Bundesland mit den meisten Hochschulen, Nordrhein-Westfalen, eine Akademie gegründet. Sie führt im Unterschied zu den anderen Akademien nicht Forschungsprojekte in Eigenregie durch, sondern tut dies nur gemeinsam mit jeweils kooperierenden Hochschulen.

Nach der Wiedervereinigung wurde 1992 die Akademie der Wissenschaften der DDR aufgelöst und eine Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften neu konstituiert. Die führte zu Protesten auf Seiten der ehemaligen Akademiemitglieder. Ein Teil der ehemaligen Akademiemitglieder gründete schließlich als Zusammenschluß und zur Fortführung ihrer Akademiearbeit die oben nicht mitaufgeführte privatrechtliche Leibniz Sozietät . Auch die offizielle Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften versteht sich in der Tradion der auf Leibniz zurückgehenden 1700 gegründeten Berliner Akademie. Die Preußisch-Brandenburgische Akademie wurde Mitglied der vormaligen westdeuschen Union der Akademien.
Die Konferenz der Akademien wurde nach dem Beitritt der Sächsischen und Berlin-Brandenburgischen Akademie in 'Union der deutschen Akademien der Wissenschaft' umbenannt. Diese Union koordiniert die Aktivitäten ihrer Mitgliedsakademien und vertritt sie bei der European Science Foundation, der All European Academies Association und bei der Union Académique Internationale, einer internationalen Vereinigung von Gelehrten-Gesellschaften, die auch selbst Forschungsprojekte trägt und fördert.

Nach einem Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) wird die traditionsreiche, aber bislang nur naturwissenschaftlich orientierte Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. mit Sitz in Halle (Saale) Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften. Die Ernennung zur Nationalen Akademie der Wissenschaften erfolgt in einem Festakt am 14. Juli 2008 in Halle.

(Vergleiche als Quellen auch die ausführlicheren Chroniken der einzelnen Akademien, insb. der Akademie Heidelberg.)


Organisatorisches

Die Akademien sind Körperschaften des öffentlichen Rechtes. (Nur die Leopoldina hatte bislang als eingetragene Vereinigung diesen Status nicht.)

Finanzierung. Die öffentlichen Akademien werden von ihren Sitzländern finanziert. Über die Landesfinanzierung hinaus gibt es ein Akademieprogramm, das gemeinsam von Bund und Ländern getragen wird und vorrangig Langzeitprogramme gerade auch im geisteswissenschaftlichen Bereich fördert (siehe auch Bund-Länder Komission ). Insgesamt beträgt der Jahresetat der Akademien etwa 200 Millionen Mark, wovon etwa 75 Millionen aus dem Gemeinschaftsprogramm stammen.

Zentralakademie Die meisten Akademien waren ihrer Funktion nach Landesakademien, das heißt sie wählen ihre ordentlichen Mitglieder vorwiegend aus den Universitäten und Forschungseinrichtungen des Bundeslandes, in dem sie ihren Sitz haben. Es gab im wiedervereinigten Deutschland bis 2008, gemäß seinem föderalen Aufbau, keine Nationalakademie, sondern nur einen Zusammenschluß der Akademien. Die Berlin-Brandenburgische Akademie und die literarische Klasse der Mainzer Akademie sowie die Leopoldina (Naturwissenschaften) waren im Unterschied zu den anderen Akademien nicht auf die jeweiligen Bundesländer beschränkt. Nach einem Beschluss der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern (GWK) wird die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. mit Sitz in Halle (Saale) Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften.

Mitglieder. Mitglieder der Akademien sind Forscher oder Forscherinnen, die wesentliches zur Entwicklung des Wissensstandes eines Faches beigetragen haben. Die Zahl der ordentlichen Mitglieder ist meist eng beschränkt. Mitglieder werden duch Kooption (Zuwahl) ergänzt. Neben ordentlichen Mitgliedern, die Stimmrecht haben, gibt es auch korrespondierende Mitglieder, die auch aus anderen Bundesländern stammen können.

Klassen. Akademien sind nach Fachbereichen in 'Klassen' gegliedert. Entsprechend der Aufgliederung der Wissenschaften am Ende des 19. Jahrhunderts haben sie eine mathematisch-naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftlich philosophisch-historische Klasse. Die Bayerische, die Göttinger und die Heidelberger Akademien gliedern sich in diese zwei Bereiche. Die Berücksichtigung der gesamten Breite der Wissenschaften unter einem Dach ist ein positiver Zug, gerade auch der meisten deutschen Akademien. (In Großbritannien sind die Royal Society und die British Academy zwei, diesen Klassen entsprechende, getrennte Einrichtungen.) Nur die Leopoldina beschränkt sich auf eine naturwissenschaftlich-medizinische Klasse.
Neben den erwänten Klassen führt die Mainzer Akademie eine eigene Klasse für Literatur. Um die inzwischen weit entwickelten angewandten Wissenschaften stärker zu berücksichtigen, verfügt die Sächsische Akademie seit 1996 zusätzlich explizit über eine eigene technikwissenschaftliche Klasse . Auch die Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften hat kürzlich eine eigene ingenieur- und wirtschaftswissenschaftliche Klasse aus der geisteswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlich-medizinischen Klasse ausgegliedert. Die wiederbegründete Berlin-Brandenburgische Akademie hat zusätzlich zu den zwei traditionellen Hauptklassen drei weitere Klassen unterschieden: eine sozialwissenschaftliche, eine biowissenschaftlich-medizinische und eine technikwissenschaftliche.


Aufgaben

Die Akademien sind heute keinesfalls mehr die alleinigen Einrichtungen für Forschung und Wissenschaftsstandards; sie sind durch eine Vielzahl anderer Forschungseinrichtungen ergänzt und teilweise ersetzt worden. Im Verhältnis zu ihrer Blütezeit befinden sich die Akademien heutzutage deshalb in einer Legitimations- oder Identitätskrise. Der historische Bedeutungsverlust der Akademien auch als Orte des interdisziplinären Austausches, liegt wohl nicht nur daran, daß etwa auch an Hochschulen solch eine Forschung teilweise stattfindet, sondern an einer zunehmend spezialisierten Wissenschaft, die fächerübergreifendes Interesse kaum honoriert.

Den deutschen Akademien der Wissenschaften sind dennoch drei Hauptaufgaben geblieben: Sie sind respektable Städten der Begegnung und der Auszeichnung hochqualifizierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Zweitens haben sie weiterhin das Ziel den Austausch zwischen den Fachdisziplinen zu fördern. Dank ihrer fachüberschreitenden Struktur sind sie in gewissem Maße oft auch de facto Orte für interdisziplinäre Forschung. Schließlich betreiben die Akademien etwa 200 langfristige Forschungsvorhaben. Im geisteswissenschaftlichen Bereich handelt es sich auch etwa um Editionen philosophischer Werk- oder Nachlassausgaben.
Zum Erreichen ihrer Aufgaben und Ziele veranstalten die Akademien Konferenzen, Symposien und Seminare, organisieren Arbeits- und Forschungsgruppen und vergeben Preise.

Da neben der notwendigen Spezialisierung in den Fachwissenschaften, heute auch wieder mehr die Notwendigkeit eines interdisziplinären Austausches gesehen werden sollte, könnte dies zu einem stärkeren Wiederaufleben der Akademien führen. Künftig könnten die Akademien auch mehr zur fundierten Diskussion gesellschaftlicher Fragen beisteuern. Das Institut de France in Paris mit seinen verschiedenen Akademien wird bis heute von Regierungen oft zur Beratung herangezogen. Die British Academy spielt etwa bei der Forschungsförderung und Stipendienvergabe eine wesentliche Rolle. Zur Förderung des Nachwuchses wurde von der Berlin-Brandenburgischen Akademie und der Leopoldina kürzlich eine 'Junge Akademie' als Tochter gegründet. Der Philosophie könnte auch im Rahmen der jüngst wieder vom Münchener Historiker Winfried Schulze geforderten Zielsetzung einer begleitenden Wissenschaftsforschung und der Selbstreflektion der Wissenschaft eine besondere Aufgabe zukommen.



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Geschrieben 2001; letzte Ergänzungen: 2008, © M.v.S.